Voraussichtliche Lesedauer: 9 Minuten
Wie viele, parallele Projekte bearbeitest du im Moment? Wie viele hast du das letzte Jahr abgeschlossen? Und wenn du ehrlich zu dir bist: Wie viele werden voraussichtlich nie fertig? Stop starting, start finishing ist mehr als nur ein Mantra von Kanban. Es ist eine Lebensweisheit, die jedem nützlich ist, der erfolgreich sein will.
Früher hatte ich viele Pläne, wollte in allem gut sein und habe eine Initiative nach der anderen gestartet. Die Auswirkung war verheerend. Ich habe vieles gemacht, viel Output generiert. Am Ende kam dabei aber nichts Relevantes oder Nützliches aus. Seit ich mir das Mantra „Stop starting, start finishing“ immer und immer wieder vor Augen führe, hat sich das deutlich verbessert:
- Meine Prokrastination, die mich in vielen Situationen begleitete, hat sich deutlich verringert.
- Mein empfundener Stresslevel ist viel geringer.
- Jetzt konzentriere ich mich auf den Outcome, nicht mehr den Output.
- Meine Todo-Liste ist jederzeit überschaubar und alle Dinge, die darauf landen, werden auch wirklich abgearbeitet.
Dabei ein Teaser: Abgearbeitet heißt nicht, dass ich es wirklich bearbeite. Finishing heißt auch, unwichtiges oder irrelevantes bereits vor dem Start zu eliminieren. Doch lass uns erst einmal das Problem betrachten.
Das Problem
Wir leben in einer Zeit der beinahe unbeschränkten Möglichkeiten. Während für unsere Großeltern der Weg noch vorgezeichnet war, stehen uns heute fast alle Türen offen. Beispiele?
- Es war noch nie so einfach, ein Unternehmen zu gründen. In vielen Branchen reichen ein günstiger Laptop, ein Handy und Internet aus, um ein Unternehmen zu gründen. Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich von Anfang an teure Maschinen kaufen und Mitarbeiter einstellen musste.
- Es war noch nie so einfach, eine gute Ausbildung zu erreichen. Während mein Vater noch darum kämpfen musste, aus dem Westerwald heraus an die Universität zu kommen, war dies für mich kein Problem mehr. Selbst wer keine Unterstützung durch die Eltern bekommt, kann sich seine Ausbildung mit den vielen Studentenjobs selbst finanzieren.
- Es war noch nie so einfach, Wissen in einem Gebiet aufzubauen und Experte zu werden. Das Internet liefert uns kostenlos eine Informationsfülle, die es in der bisherigen Menschengeschichte nicht gab. Unzählige Bücher und Online-Kurse vervollständigen das Angebot. Wir müssen nur zugreifen.
Was ist das Problem? Wir haben nicht gelernt, uns auf eine Sache zu fokussieren. Wir haben nicht gelernt, etwas fertig zu machen, bevor wir etwas Neues beginnen. So springen wir von Thema zu Thema, kennen vieles, können aber kaum etwas.
Und noch etwas: Nur weil etwas möglich ist und einfach erscheint, heißt das nicht, dass man es auch tun sollte. Die meisten von uns verzetteln sich, weil sie auf zu vielen Hochzeiten tanzen.
Stop starting
Das lässt sich einfach ändern. Hör heute auf, neue Projekte (im Sinne von Aufgabenpaketen) zu beginnen.
Leider ist dies einfacher gesagt als getan. Es ist weder die Gesellschaft oder unser Arbeitsumfeld, die unseren Wandel behindern. Wir sind es selbst, die sich einreden, dass wir auf allen Hochzeiten tanzen müssen. Unser Umfeld reagiert darauf und gibt uns munter Aufgaben und Projekte. Dadurch sind wir chronisch unter Stress und bekommen dennoch nichts fertig. Das ist sowohl ineffizient als auch ineffektiv.
Der Weg aus diesem Teufelskreis ist so einfach wie wirksam.
Start finishing
Was musst du tun, um deine aktuellen Projekte zu beenden? Die einfachste Variante ist: Setze den Rotstift an. Denke daran, dass fertig nicht nur abgeschlossen sondern auch abgebrochen sein kann. Streiche konsequent alle Projekte, die dich nicht weiterbringen. Überlege dann, was du tun musst, um die restlichen Projekte abzuschließen. Wenn alle Projekte abgeschlossen sind, kannst du dich um neue Projekte kümmern. Dein Ziel sollte sein, immer konzentriert an genau einem (dem wichtigsten) Projekt zu arbeiten.
Die Idee: Den Durchsatz erhöhen
„Stop starting, start finishing“ basiert auf dem Flow-Prinzip aus Lean. In der Produktion hat sich gezeigt, dass der Fokus auf den Durchsatz viel effektiver und auch effizienter ist als der Fokus auf hundertprozentige Auslastung aller Produktionseinheiten, heißt der Kapazität. Das Prinzip lässt sich nahezu 1:1 auf uns Wissensarbeiter anwenden:
Wir sind viel produktiver, wenn wir uns auf möglichst wenig parallele Themen konzentrieren und diese dann aber zügig zu einem Ende bringen. Unser Gehirn ist auf Single tasking gepolt. Jeder Wechsel der Aufgaben braucht eine „Rüstzeit“ von mind. 15 Minuten. Das ist die Zeit, die ein normaler Mensch braucht, um wieder in einen Zustand der vollen Konzentration zu gelangen.
Was bedeutet fertig?
Wann ist etwas fertig? Dazu habe ich eine kleine Anekdote, die sich 2016 abgespielt hat: Ich war eine Zeit lang Team Lead eines kleinen System Teams. Wir waren neben vielen anderen Tätigkeiten auch verantwortlich für den Betrieb der Projektinfrastruktur, bestehend aus dem Build-Server Jenkins, dem Ticket-System JIRA, dem Wiki Confluence und einigen anderen Produkten.
Ich zog mir die Aufgabe, den Jenkins-Server als „Infrastructure as Code“ neu aufzubauen. Nach ein paar Tagen hatte ich den Aufbau so weit automatisiert, dass er im damaligen Netzwerk-Setup des Unternehmens betrieben werden konnte. Stolz präsentierte ich die Lösung meinem damaligen Mentor, einem Architekten im gleichen Projektumfeld. Er beglückwünschte mich und sagte dann einen für mich sehr lehrreichen Satz:
„Reiß ihn ab und bau ihn neu auf!“
Was sich im ersten Moment seltsam anhörte, brachte mir eine wichtige Erkenntnis. Ich verstand, dass es nicht darauf ankommt, etwas einmalig zu schaffen. Viel wichtiger ist es, einen Zustand zu erreichen, dass du dich möglichst nicht mehr um diese Aufgabe kümmern musst. Erst dann ist etwas fertig. Das ist eines der Kernelemente der nachhaltigen, agilen Arbeitsweise.
Ich baute den Server dann automatisiert so lange neu auf, bis ich mir sicher war, dass keine manuellen Schritte mehr nötig waren. Während der restlichen Projektlaufzeit hatten wir kein Problem mehr mit dieser Komponente. Ich hatte immer die Sicherheit, den Server im Notfall durch ein Skript, später eine Pipeline, jederzeit innerhalb von Minuten neu aufbauen zu können. Natürlich ist dieser Notfall auch eingetreten. Durch die gute Vorbereitung war der Server innerhalb von Minuten wieder verfügbar. Dadurch hatten wie vermieden, der Bottleneck für die vier Scrum-Teams zu werden, was in dieser Situation unter normalen Umständen der Fall gewesen wären. Die investierte Zeit hat sich also doppelt und dreifach bezahlt gemacht, da ich sie in dem Augenblick investiert habe, als es wichtig, aber nicht dringend war.
Umsetzen!
Meine Empfehlung an dich: Bevor du irgendetwas anderes tust, führe erst einmal das Mantra „Stop starting, start finishing“ in deinen Alltag ein. Wenn du dieses Prinzip konsequent befolgst, wirst du stressfrei produktiver arbeiten und kannst Überstunden und Aktionismus aktiv vermeiden. Zwei Werkzeuge lege ich dir dabei noch ans Herz:
Die Definition of Done und die Definition of Ready
Hast du bereits eine Definition of Done (DoD)? Nutzt du sie auch?
Bekannt wurde die Definition of Done (also die Definition, wann etwas als Fertig angesehen wird) durch das Scrum-Framework. Im einfachsten Fall ist es eine Checkliste, mit der geprüft wird, ob eine Aufgabe oder Story abgeschlossen ist. Typische Elemente der DoD in der Software-Entwicklung sind:
- Die Dokumentation ist aktualisiert worden.
- Die Anwendung wird mit automatisierten Unit- und Integrations-Tests gemäß der Teststrategie getestet.
- Die neuen Features wurden ins Monitoring übernommen.
- Die Akzeptanzkriterien sind erfüllt.
- Ein Peer-Review wurde durchgeführt.
- Der fachliche Ansprechpartner wurde informiert.
Diese Form der Checkliste hilft den Teammitgliedern und Stakeholdern dabei, ein gemeinsames Verständnis davon zu bekommen, was fertig bedeutet. Es standardisiert die Ergebnisse und sorgt damit für Klarheit.
Mach keine Wissenschaft daraus. Es ist zielführender, wenige Kriterien zu haben, die konsequent befolgt werden. Je komplexer die Liste oder je spezifischer die einzelnen Elemente nur für bestimmte Aufgabentypen gelten, desto seltener wir sie verwendet. Die Definition of Doneist nicht in Stein gemeißelt. Wenn sie nicht passt, passe sie an.
Neben der Definition of Done gibt es auch die Definition of Ready (DoR). Im Gegensatz zur DoD liegt bei der DoR der Fokus darauf, wann etwas so weit vorbereitet ist, dass es von Teammitgliedern bearbeitet werden kann. Sie beantwortet also die Frage: Wann hat eine Aufgabe den Reifegrad erreicht, dass sie vom Team umgesetzt werden kann.
Bildlich gesprochen: Die DoR der Eingangs-Gatekeeper, die DoD der Ausgangs-Gatekeeper des Entwicklungsprozesses.
Die DoR/DoD ist aber nicht auf Teams beschränkt. Ich habe gute Erfahrung damit gemacht, auch in ein-Mann-Projekten eine DoD und teilweise auch eine DoR zu haben.
Fazit
Arbeit bringt immer nur dann einen Mehrwert, wenn sie produktiv eingesetzt wird. Bis dahin ist es eine Investition, die noch keinen Gewinn abwirft. Wer viel investiert, ohne dass sich die Investitionen auszahlen, geht irgendwann bankrott. Genauso verhält es sich mit der Arbeit. Wer viel Zeit und Kraft investiert, ohne dass es sich auszahlt, wird niemals erfolgreich sein.
Mach es anders. Schau, dass du alles, was du anfängst auch beendest. Never-Ending-Stories mag niemand. Am Ende der Arbeit zählt nur der Mehrwert, den du geschaffen hast. Alles andere ist zweitranging.
Und jetzt du!
Hast du auch das Problem der Verzettelung und Prokrastination? Oder schaffst du es mühelos, viele Fäden in der Hand zu halten und dennoch alles fertig zu machen? Ich freue mich auf deine Kommentare!
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